DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist
16-01-2024 18:30
SXEU31 DWAV 161800
S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Dienstag, den 16.01.2024 um 18 UTC
SCHLAGZEILE:
Vor allem am Mittwoch, teils auch noch bis in den Donnerstag im Süden und in der
Mitte Extremwetterlage mit barokliner Luftmassengrenze und teils kräftigen
Niederschlägen in Form von Schnee und/oder gefrierenden Regen mit Glatteis.
Synoptische Entwicklung bis Donnerstag 06 UTC
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Aktuell ... fällt der Luftdruck in Deutschland, was keine Wunder ist. Die Zeit
von Zwischenhoch BONIFAZ (nicht zu verwechseln mit dem derzeit verletzten
nigerianischen Nationalspieler von Bayer 04 Leverkusen) geht zu Ende.
Stattdessen wird an den letzten atmosphärischen Feineinstellungen gefeilt, um
einen meteorologisch denkwürdigen und nicht alltäglichen Januarmittwoch
einzuleiten. Das große Ganze ist angerichtet, jetzt kann´s und wird dann auch
bald losgehen. Aktuell herrscht allerdings noch relative Stille in den Regionen,
die morgen ein komplett anderes Wetter bekommen werden als heute. Sowohl im
Süden als auch in der Mitte geht die Bewölkung trotz des Druckfalls derzeit noch
zurück, was insofern von Bedeutung ist, als dass dadurch die Temperatur
verbreitet in den leichten bis mäßigen Frostbereich zurückgehen kann.
Aus dem Norden, wo man sich in den nächsten 24 bis 36 Stunden in der
interessierten Beobachterrolle ob der Ereignisse weiter südlich sieht, gilt es
zu berichten, dass aktuell noch ein paar Schneeschauer unterwegs sind, die aber
bald dem Tagesgang zum Opfer fallen. Absender ist ein großräumiger Tiefkomplex
über Nordeuropa, der gleichzeitig für die Kaltluftzufuhr aus nördlichen Breiten
verantwortlich zeichnet (maritime Polarluft mP; T850 am Abend um -9°C). Im
weiteren Verlauf der Nacht nähert sich ein weiteres Tief (FARIMA), das von der
Doggerbank kommend in Richtung Skagerrak steuert. Mit auf fast Süd rückdrehenden
Winden wird niedertroposphärisch etwas wärmere Luft eingebracht, in der T850 auf
bis zu -4°C ansteigt. Das reicht aber nicht, um auch auf 2 m Höhe einen
nennenswerten Temperaturanstieg zu initiieren. Meist bleibt es bei leichten
Minusgraden oder 0°C, einzig auf den Nordseeinseln kann es leicht ins Plus
gehen. In der zweiten Nachthälfte setzt im nördlichen SH leichter Schneefall
ein, der etwa nördlich des Nord-Ostsee-Kanals bis zum Morgen 1 bis 3, lokal um 5
cm Neuschnee bringt. Dazu frischt der auf Südwest bis Süd rückdrehende Wind
merklich auf, wobei das Maximum auf der Nordsee inkl. Helgoland sowie an der
nordfriesischen Küste zu erwarten ist (Böen 9 bis 10 Bft). Ansonsten stehen von
Ostfriesland bis hinüber nach Fehmarn Böen 7 bis 8 Bft, weiter östlich bis nach
Vorpommern meist "nur" Böen 7 Bft auf der Karte. Vorsicht, im Norden SHs lokale
Gefahr von Schneeverwehungen.
Vom Norden zurück in den Süden, wo ein ganz anderes Tief den Hut aufhat. Die
Rede ist von GERTRUD, die sich - das muss man so klar kommunizieren - am
morgigen Mittwoch wohl nicht allzu viele Freunde bei uns machen wird. Doch
richten wir nicht über sie, denn erstens ist das mit den Namen eine für die
BWK/FU Berlin zwar lukrative, ansonsten aber nicht allzu ernst nehmende nette
Spielerei. Und zweitens macht die Natur am Ende doch was sie will, egal, ob das
unsere gegenüber Naturereignissen vielfach abgehobene, der modernen Technik
hörige Gesellschaft gutfindet oder nicht. Auf alle Fälle befindet sich das
Zentrum besagtes Tief aktuell westlich der Biskaya, was eigentlich noch ganz
schön weit weg ist. Allerdings greift Druckfall sehr weit nach Osten aus, wohin
sich zunehmend eine breite Rinne etabliert, die Mitternacht über Frankreich
hinweg bis etwa zu den Westalpen reicht. Darin eingelagert ist eine Warmfront,
die mehr und mehr die Rolle einer scharfen, hoch-baroklinen Luftmassengrenze
einnimmt und sich bis zum Morgen langsam nordostwärts vorarbeitet. Zunächst (1.
Nachthälfte) zieht mehrschichtige Bewölkung in den Süden und Südwesten, bevor es
gegen Mitternacht (vielleicht auch schon etwas eher) von der Schweiz und dem
Vorarlberg her Niederschlag einsetzt. Dieser kommt bis 06 UTC etwa bis zu einer
Linie Saarland-Südpfalz-Kraichgau-südliches Mittelfranken voran. An der
Nordkante des Niederschlagsgebietes fällt kurzzeitig Schnee, bevor das Ganze
zügig in gefrierenden Regen übergeht. Grund für genau diese,
verkehrsinfrastrukturell sehr unbeliebte Phase ist das rasche Vorankommen
niedertroposphärischer Warmluft mit positiven Temperaturen oberhalb der kalten,
überwiegend frostigen Grundschicht mit gefrorenen Böden (Stichwort "warme
Nase"). Das Maximum der wärmsten Luft ist etwa auf 900 hPa zu finden, wo die
0°C-Isotherme ebenfalls bis in die o.e. Gebiete vorankommt. In Südbaden, am
Hochrhein und in Schwaben geht´s rauf auf bis zu +5°C, aber eben noch nicht in
den bodennahen Luftschichten, wo die Temperatur die klassische Kaltlufthysterese
an den bald beginnenden Tag legt. Kurzum, es droht klassischer gefrierender
Regen mit Glatteis, der zu erheblichen Behinderungen im morgendlichen
Berufsverkehr sorgen wird und doch nur die Ouvertüre zu einer wuchtigen Oper
Wagnerschen Ausmaßes darstellt. Da fällt es nicht weiter ins Gewicht, dass
sowohl in den Alpen als auch im Hochschwarzwald zusätzlich der Südwestwind
stürmisch auffrischt.
Mittwoch ... wird das Tief GERTRUD unterhalb der relativ glatten westlichen
Höhenströmung (GWL-Muster Ws südliche Westlage) immer mehr zu einem
rinnenförmigen Tiefdruckzone "zusammengedrückt", die mehrere Druckminima
aufweist. Am Mittag erstreckt sich die Rinne von der nördlichen Biskaya über die
Bretagne bis in die Mitte Deutschlands, wohin sich auch die Luftmassengrenze
(LMG) positioniert. Die 0°C-Isotherme auf 950 und 850 hPa hat im neuesten Lauf
von ICON_Nest von 12 UTC ihre nördlichste Ausdehnung etwas später (also in den
Abendstunden) und zudem etwas weiter nördlich als in den Vorläufen (um 21 UTC
etwa von der Eifel über die Wetterau und Südthüringen bis ins
Erzgebirgsvorland). Damit wird angedeutet, dass Rinne und LMG ebenfalls
geringfügig weiter nach Norden vorankommen könnten als bisher angenommen. Solche
kleinen numerischen Schwankungen sind bei einer derartigen
Spitz-auf-Knopf-Wetterlage selbst kurz vorm Ereignis keine Seltenheit, sollten
aber nicht dazu führen, dass das ausgegebene Warnkonzept sofort angepasst wird.
Sollte sich dieser Trend allerdings in Folgeläufen bestätigen, müsste die
Glatteiswarnung einen Tick nach Norden ausgedehnt werden, ebenso die gelben
Schneefallwarnungen am Nordrand des gesamten Niederschlagsgebiets.
Ansonsten lässt sich konstatieren, dass die grundlegenden Abläufe der
bevorstehenden Grenzwetterlage durch den neuen Lauf bestätigt werden. Deshalb
hier nur noch mal in aller Kürze und ohne tiefgreifende Erläuterungen zu den
atmosphärenphysikalischen Mechanismen (die in den Vorübersichten mehrfach
hinreichend und detailliert erörtert wurden) das Wesentlich des morgigen Tages:
Von Süden auf die Mitte übergreifende Niederschläge, im Nordteil als teils
mäßiger Schneefall, weiter südlich gefrierender Regen mit Glatteis, im
Übergangsbereich (Main-Mosel bzw. etwas nördlich davon) erst das eine, dann das
andere. In Teilen BaWüs im Tagesverlauf Entspannung der Glatteislage durch
Erwärmung (Zufuhr subtropischer Luft mSp mit Anstieg T850 auf rund +7°C =>
2m-Temperatur um 10°C!, zudem nachlassender Niederschlag). In den Hochlagen der
südwestlichen Mittelgebirge sowie der Alpen bleibt es stürmisch, exponiert
stehen schwere Sturmböen 10 Bft, auf dem Feldberg orkanartige Böen 11 Bft aus
Südwesten auf dem Zettel.
Kurz noch ein Exkurs in den Norden, wo die LMG respektive deren Auswirkungen
nicht hinkommen. Nach Abzug des Tiefs FARIMA in Richtung Südschweden strömt ein
neuerlicher Schwall maritimer Kaltluft (Mischung aus mP und mA) ein, der T850
auf -5 bis -8°C zurückgehen lässt. Dazu bringt eine schwache Kaltfront etwas
Schneefall in den äußersten Norden und Nordwesten, der z.T. eine dünne
Schneedecke produziert, teils aber auch nur für Schneematsch sorgt. Der Wind (an
der Nordsee Drehung auf West bis Nordwest, sonst auf Südwest) lässt von West
nach Ost deutlich nach.
In der Nacht zum Donnerstag setzt über der Nordsee und UK/Irland eine Austrogung
an, was bei uns ein leichtes Rückdrehen der Höhenströmung zur Folge hat.
Niedertroposphärisch allerdings gewinnt die nördliche Windkomponente an Stärke,
wodurch die Rinne langsam nach Süden gedrückt und die Kaltluft von Norden an
Raum gewinnt. Zugegeben, ein langsamer, aber gut erkennbarer Prozess. Für die
Niederschlagsentwicklung bedeutet das allmählicher Abbau der gefrierenden
Regenphase (weil Abbau der "warmen Nase"), was allerdings in der südlichen Mitte
(und in Südostbayern) bis in die frühen Morgenstunden dauern kann. Nachfolgend
greifen die Schneefälle von Norden her wieder bis in die Gegenden um Main und
Mosel bzw. etwas darüber hinaus aus. Im Südwesten, wo die Nacht frostfrei
bleibt, fällt "normaler" Regen.
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Synoptische Entwicklung bis Freitag 06 UTC
Donnerstag ... kommt die Kaltluft bis zu den Alpen voran, wodurch die
Niederschläge, die sich von der Mitte bis in den Süden ausbreiten, bis zum Abend
komplett in Schnee übergehen. Je nach Region und Phasenübergangszeit können
gebietsweise 5 bis 10, in Staulagen um 15 cm Neuschnee zusammenkommen. Die
Temperatur, gerade im Südwesten am Morgen noch deutlich im Plus (5-10°C),
rauscht im Tagesverlauf deutlich nach unten Richtung Gefrierpunkt.
Im Norden lockert die Wolkendecke zeitweise auf, was einzelne Schneeschauer
nicht daran hindert, von der See her etwas landeinwärts vorzustoßen. An der
Küste weht ein frischer bis starker West-Nordwestwind mit Böen 7-8 Bft.
Weitere Details sind der Synoptischen Übersicht von heute Dienstagfrüh zu
entnehmen.
Modellvergleich und -einschätzung
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Dass der neueste Lauf von ICON die Rinne und die LMG morgen einen kleinen Tick
weiter nach Norden vorankommen lässt, wurde im Text bereits erörtert. Ansonsten
simulieren die Modelle sehr ähnlich.
Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann